Grundeinstellung, mal anders
Verfasst: 30.07.2010 14:54
Salü zusammen!
Ich denke, es wäre vielleicht mal ganz nützlich, etwas losgelöst von irgendwelchen konkreten technischen Problemen über die allgemeine Vorgehensweise beim Aufspüren und Beheben von technischen Fehlern zu reden. Es soll hier also weniger um eine Anleitung in der Art "Tue dieses, dann jenes und prüfe Folgendes" gehen, sondern um das zugrunde liegende Prinzip, nach dem man zu solch einer Anleitung kommt. Letztlich also so 'ne Art "Meta-Reparaturanleitung".
Eine solche existiert bereits in dem epochalen Buch "Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten" von Robert M.Pirsig, wenngleich man diesem Buch gnadenlos Unrecht tut, wenn man es auf diesen Inhalt verkürzen wollte. Die meisten werden es bereits kennen, für alle anderen erkläre ich es hiermit zur Pflichtlektüre, auch wenn man nix mit Motorrädern am Hut haben sollte. Es ist außerdem ein hervorragendes Zeitdokument aus der Epoche, als noch neue T2 vom Band liefen und die - man staune - eben nicht nur aus zugekifften Hippies bestanden hat.
Pirsig unterscheidet darin zwischen der Idee von irgendeiner Sache und dem realen Objekt, also etwa der Idee vom Reiten, der "Pferdheit" und dem realen Gaul, welcher lahmen oder auf der Stelle tot umfallen kann, ohne daß er dadurch das zugrundeliegende Prinzip des Reitens in Frage stellen würde.
Reiten funktioniert.
Punkt.
Der Bulli funktioniert ebenfalls. Das hat er bereits millionenfach bewiesen. Wenn mein eigener nun ausgerechnet hier und jetzt nicht funktionieren sollte, dann muß er sich offenbar vom idealen Bulli bzw. der Idee vom Bulli in irgendeinem Detail unterscheiden, das ihn am Funktionieren hindert. Und dieses Detail gilt es nun zu finden.
Das Wichtigste an dieser Aussage ist, daß das Wort "Detail" hier im Singular steht. Ein technischer Defekt ist so etwas wie ein Blitzeinschlag - also nicht gerade die Regel, aber kann passieren. Die Vorstellung jedoch, daß zwei technische Defekte unabhängig voneinander gleichzeitig auftreten, ist etwa so wahrscheinlich, wie das gleichzeitige Einschlagen zweier Blitze an der selben Stelle.
Bevor wir also irgendwo Hand anlegen, müssen wir uns bewußt machen, wie sehr wir uns davor hüten müssen, Konfusion zu verbreiten, indem wir planlos Dinge auseinander reißen oder ganze Baugruppen durch irgendwelche fremde mit unbekannter Funktion ersetzen. Das öffnet der Verwirrung Tür und Tor. Auch am defekten Bus funktioniert zunächst mal alles - mit Ausnahme jenes winzigen Details, das wir finden müssen! Wir müssen uns also behutsam vorwärts tasten und dabei auch stets darauf achten, daß wir durch unsere eigene Schrauberei keine neuen Fehler hinzufügen. Ob man die Reihe "Hab ich einen Funken an der Kerze? Hab' ich einen Schaltimpuls von den Kontakten? Hab' ich überhaupt Spannung?" nun rückwärts oder vorwärts abfrühstückt, ist weitgehend wurscht. Wichtig ist nur, daß der Verteiler wieder so ist wie vorher, wenn ich die Kappe wieder drauf clipse und daß ich am Ende sicher weiß, ob ich nun einen Funken habe oder nicht.
Nützlich ist es dabei natürlich, wenn man weiß, wie die einzelnen Bauteile funktionieren und wie sie zusammen funktionieren. Wenn man da unsicher ist, muß man irgend eine Strategie finden, seine Gedanken zu ordnen bzw. aus dem Wenigen, das man weiß, die richtigen Fragen abzuleiten, um daraus wieder Experimente abzuleiten, die genau diese Fragen beantworten. Mir hat es z.B. bei einem Fehler in der Elektrik mal geholfen, das Wenige was ich damals darüber wußte, einfach meiner Begleiterin vorzubeten. Die hat mich zwar mit großen, fassungslosen Augen angestarrt und kein Wort verstanden, aber indem ich es ihr erklärt habe, wurde mir bewußt, wo ich selbst im Nebel stochere. Der Weg führte dann zielstrebig von einem verschmorten Kabel im Motorraum zum Zündschloß in 4m Entfernung - et voila: Weiter ging's!
Das waren übrigens keine zwei Fehler zur gleichen Zeit, sondern der eine war eine Folge des anderen. Vor allem bei mechanischen Defekten, insbesondere Motorschäden, muß man immer sehr darauf achten, daß man nicht bloß die defekten Bauteile ersetzt, sondern die Ursache für den Schaden ergründet. Das neue Ventil wird z.B. gleich wieder abreißen, wenn man die Ursache für seine Überhitzung nicht beseitigt. Motorschäden sind i.d.R. Folgeschäden aus irgendwelchen Kleinigkeiten in der Peripherie. In wirklichem Verschleiß haben sie nur selten ihre Ursache.
Ich habe mal einen Volvo P245 Turbo gekauft. Wunderbares Auto, aber mit Kaltstartschwierigkeiten. Der Vorbesitzer zeigte mir einen ganzen Stapel Werkstattrechnungen. Seit zwei Jahren waren die hinter diesem Problem her, hatten Tod und Teufel an Teilen ausgetauscht, Kosten in vierstelliger Höhe verursacht, ohne daß sich irgend ein Fortschritt eingestellt hätte. Ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung und habe mich zunächst mal mit Literatur versorgt, um rauszufinden, wie so 'ne K-Jetronic überhaupt funktioniert. Habe lange gesucht, aber letztlich war's primitiv. Es gibt dort für die Kaltstartanreicherung nur zwei Einrichtungen. Eine Düse, die für ein paar Sekunden zusätzlichen Sprit einspritzt und einen Kaltlaufregler, der über eine elektrisch beheizte Bimetallfeder den Steuerdruck variiert. Da der rumpelige Motorlauf länger als ein paar Sekunden dauerte, konnte es also nur an letzterem hängen. Zerlegt, Kontakt klebte, Kontakt gängig gemacht -> funktioniert. Allerdings stimmte jetzt natürlich der Steuerdruck nicht mehr, denn den hatte ja die Fachwerkstatt vorher für korrektes Gemisch mit klebendem Kaltstartregler eingestellt (und sich damit wohl endgültig den Weg verbaut, den eigentlichen Fehler zu finden). Ich bin dann zum nächstgelegenen Boschdienst und habe den Auftrag "Steuerdruck einstellen!" erteilt. Der Typ hinter'm Tresen schaute mich an, wie die Geiß, wenn's blitzt! Steuerdruck geprüft, war tatsächlich falsch, eingestellt und die Kiste lief! Das ganze Drama beim Vorbesitzer hatte also seinen Ursprung darin, daß beim ersten Werkstattaufenthalt nur dumm am Steuerdruck rumgedreht wurde, anstatt sich die Frage zu stellen, wieso der plötzlich so weit daneben liegen konnte.
Gruß,
Clemens
Ich denke, es wäre vielleicht mal ganz nützlich, etwas losgelöst von irgendwelchen konkreten technischen Problemen über die allgemeine Vorgehensweise beim Aufspüren und Beheben von technischen Fehlern zu reden. Es soll hier also weniger um eine Anleitung in der Art "Tue dieses, dann jenes und prüfe Folgendes" gehen, sondern um das zugrunde liegende Prinzip, nach dem man zu solch einer Anleitung kommt. Letztlich also so 'ne Art "Meta-Reparaturanleitung".
Eine solche existiert bereits in dem epochalen Buch "Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten" von Robert M.Pirsig, wenngleich man diesem Buch gnadenlos Unrecht tut, wenn man es auf diesen Inhalt verkürzen wollte. Die meisten werden es bereits kennen, für alle anderen erkläre ich es hiermit zur Pflichtlektüre, auch wenn man nix mit Motorrädern am Hut haben sollte. Es ist außerdem ein hervorragendes Zeitdokument aus der Epoche, als noch neue T2 vom Band liefen und die - man staune - eben nicht nur aus zugekifften Hippies bestanden hat.
Pirsig unterscheidet darin zwischen der Idee von irgendeiner Sache und dem realen Objekt, also etwa der Idee vom Reiten, der "Pferdheit" und dem realen Gaul, welcher lahmen oder auf der Stelle tot umfallen kann, ohne daß er dadurch das zugrundeliegende Prinzip des Reitens in Frage stellen würde.
Reiten funktioniert.
Punkt.
Der Bulli funktioniert ebenfalls. Das hat er bereits millionenfach bewiesen. Wenn mein eigener nun ausgerechnet hier und jetzt nicht funktionieren sollte, dann muß er sich offenbar vom idealen Bulli bzw. der Idee vom Bulli in irgendeinem Detail unterscheiden, das ihn am Funktionieren hindert. Und dieses Detail gilt es nun zu finden.
Das Wichtigste an dieser Aussage ist, daß das Wort "Detail" hier im Singular steht. Ein technischer Defekt ist so etwas wie ein Blitzeinschlag - also nicht gerade die Regel, aber kann passieren. Die Vorstellung jedoch, daß zwei technische Defekte unabhängig voneinander gleichzeitig auftreten, ist etwa so wahrscheinlich, wie das gleichzeitige Einschlagen zweier Blitze an der selben Stelle.
Bevor wir also irgendwo Hand anlegen, müssen wir uns bewußt machen, wie sehr wir uns davor hüten müssen, Konfusion zu verbreiten, indem wir planlos Dinge auseinander reißen oder ganze Baugruppen durch irgendwelche fremde mit unbekannter Funktion ersetzen. Das öffnet der Verwirrung Tür und Tor. Auch am defekten Bus funktioniert zunächst mal alles - mit Ausnahme jenes winzigen Details, das wir finden müssen! Wir müssen uns also behutsam vorwärts tasten und dabei auch stets darauf achten, daß wir durch unsere eigene Schrauberei keine neuen Fehler hinzufügen. Ob man die Reihe "Hab ich einen Funken an der Kerze? Hab' ich einen Schaltimpuls von den Kontakten? Hab' ich überhaupt Spannung?" nun rückwärts oder vorwärts abfrühstückt, ist weitgehend wurscht. Wichtig ist nur, daß der Verteiler wieder so ist wie vorher, wenn ich die Kappe wieder drauf clipse und daß ich am Ende sicher weiß, ob ich nun einen Funken habe oder nicht.
Nützlich ist es dabei natürlich, wenn man weiß, wie die einzelnen Bauteile funktionieren und wie sie zusammen funktionieren. Wenn man da unsicher ist, muß man irgend eine Strategie finden, seine Gedanken zu ordnen bzw. aus dem Wenigen, das man weiß, die richtigen Fragen abzuleiten, um daraus wieder Experimente abzuleiten, die genau diese Fragen beantworten. Mir hat es z.B. bei einem Fehler in der Elektrik mal geholfen, das Wenige was ich damals darüber wußte, einfach meiner Begleiterin vorzubeten. Die hat mich zwar mit großen, fassungslosen Augen angestarrt und kein Wort verstanden, aber indem ich es ihr erklärt habe, wurde mir bewußt, wo ich selbst im Nebel stochere. Der Weg führte dann zielstrebig von einem verschmorten Kabel im Motorraum zum Zündschloß in 4m Entfernung - et voila: Weiter ging's!
Das waren übrigens keine zwei Fehler zur gleichen Zeit, sondern der eine war eine Folge des anderen. Vor allem bei mechanischen Defekten, insbesondere Motorschäden, muß man immer sehr darauf achten, daß man nicht bloß die defekten Bauteile ersetzt, sondern die Ursache für den Schaden ergründet. Das neue Ventil wird z.B. gleich wieder abreißen, wenn man die Ursache für seine Überhitzung nicht beseitigt. Motorschäden sind i.d.R. Folgeschäden aus irgendwelchen Kleinigkeiten in der Peripherie. In wirklichem Verschleiß haben sie nur selten ihre Ursache.
Ich habe mal einen Volvo P245 Turbo gekauft. Wunderbares Auto, aber mit Kaltstartschwierigkeiten. Der Vorbesitzer zeigte mir einen ganzen Stapel Werkstattrechnungen. Seit zwei Jahren waren die hinter diesem Problem her, hatten Tod und Teufel an Teilen ausgetauscht, Kosten in vierstelliger Höhe verursacht, ohne daß sich irgend ein Fortschritt eingestellt hätte. Ich hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung und habe mich zunächst mal mit Literatur versorgt, um rauszufinden, wie so 'ne K-Jetronic überhaupt funktioniert. Habe lange gesucht, aber letztlich war's primitiv. Es gibt dort für die Kaltstartanreicherung nur zwei Einrichtungen. Eine Düse, die für ein paar Sekunden zusätzlichen Sprit einspritzt und einen Kaltlaufregler, der über eine elektrisch beheizte Bimetallfeder den Steuerdruck variiert. Da der rumpelige Motorlauf länger als ein paar Sekunden dauerte, konnte es also nur an letzterem hängen. Zerlegt, Kontakt klebte, Kontakt gängig gemacht -> funktioniert. Allerdings stimmte jetzt natürlich der Steuerdruck nicht mehr, denn den hatte ja die Fachwerkstatt vorher für korrektes Gemisch mit klebendem Kaltstartregler eingestellt (und sich damit wohl endgültig den Weg verbaut, den eigentlichen Fehler zu finden). Ich bin dann zum nächstgelegenen Boschdienst und habe den Auftrag "Steuerdruck einstellen!" erteilt. Der Typ hinter'm Tresen schaute mich an, wie die Geiß, wenn's blitzt! Steuerdruck geprüft, war tatsächlich falsch, eingestellt und die Kiste lief! Das ganze Drama beim Vorbesitzer hatte also seinen Ursprung darin, daß beim ersten Werkstattaufenthalt nur dumm am Steuerdruck rumgedreht wurde, anstatt sich die Frage zu stellen, wieso der plötzlich so weit daneben liegen konnte.
Gruß,
Clemens