boggsermodoa hat geschrieben:chère Catherine,
du böses Mädchen du! Jetzt muß ich mich deinetwegen wieder mit der halben IG anlegen, beim nächsten Südweststammtisch mei Zwiwwelroschdbroode auf einem Armen-Sünder-Bänklein draußen vor'm Klo zu mir nehmen, und alle werden mich meiden, als hätte ich die Grätze!
Du hast dir ein vierzig Jahre altes Auto angelacht, das sich in beneidenswert gutem Zustand befindet, das auf dem Hippie-Trail gen Indien gerollt ist, in dem geweint und gelacht, gehaßt und geliebt, gekotzt und gekifft wurde, das seinen Besitzern Schutz und ein Dach über'm Kopf geboten hat, auf ihrer Flucht vor der spießigen Heimat. Die Kiste hat wirklich was zu erzählen - und zwar wesentlich mehr und was wesentlich Spannenderes, als davon, in welchem Zustand sie damals bei der Auslieferung auf dem Hof des Händlers stand! Das dürften wahrscheinlich die ödesten und langweiligsten Tage gewesen sein, die sie überhaupt je erlebt hat.
Und in genau
den Zustand willst du sie zurückversetzen und alles, was danach kam, ausradieren? Warum? Dann hättest du dir doch besser gleich solch ein steriles, gesichtsloses, antiseptisches Note-1-Glamour-Girl gekauft und diese Mühle jemand anderem überlassen, der sie zu schätzen weiß!
"Gut, der Wagen erzählt eine Geschichte, aber es ist nicht meine, sondern die, von jemand anderem!" Diesen Standpunkt, wenn du ihn denn einnähmest, könnte ich verstehen. Dann gäbe es aber immer noch kein Argument für den Originalzustand, sondern dann mach was Eigenes draus, das aus 300m Entfernung bereits "Katrin!" schreit, wenn man es erblickt. Das wird's über kurz oder lang jedoch ohnehin, denn du wirst ja wohl auch keine Mumie draus machen. Das Leben geht ja weiter und es gibt noch viel zu erleben, auch für deinen Bus, und es wird seine Spuren hinterlassen. Lackier meinetwegen die Stoßstangen und Felgen oder was dich sonst noch stört, aber laß bloß das Ersatzrad dran! Das gehört so!
Daß Geld-in-Oldtimern-Anleger oder Autohändler nichts außer dem Originalzustand akzeptieren, ist nicht weiter verwunderlich. Solche Leute haben den Marktwert im Blick, also die Frage "Was bekomme ich beim Verkauf von meiner investierten Zeit und Kohle wieder zurück?" oder es geht schlicht um die soziale Rangordnung bei den Treffen der jeweiligen Selbsthilfegruppen, bei denen man nie weiß, ob's um die kollektive Behandlung irgendwelcher Psychosen oder um's Sich-zur-Schau-stellen im initimen Kreis geht, weil man auf der Leopoldstraße nix darstellt.
Wer den Bus jedoch um seiner selbst willen fährt und überhaupt nicht daran denkt, ihn jemals zu veräußern, für den ist der Marktwert so wichtig wie ein drittes Nasenloch. Das ist eine spießige und kleingeistige Welt - und ein Spießer hat in deiner Mühle noch nie hinter'm Steuer gesessen, sonst wär sie nicht so, wie sie ist.
Ich hatte grad eine ganz ähnliche Diskussion mit meinem Mädel über die Frage, wie's mit meinem VW weitergehen soll. Eigentlich brauchen wir keinen Camper, sondern eine Schlafgelegenheit, Stauraum und nun auch eine sichere Transportmöglichkeit für unser Kind. In dreißig Jahren VW-Bus bin ich noch nie auf die Idee gekommen, da drin Essen zu kochen oder Geschirr zu spülen. So was MultiVan-mäßiges wäre also viel geeigneter für uns, und ich hatte mich tatsächlich ernsthaft In einen Mercedes Viano Fun verguckt. 440Nm, Heckantrieb und 'ne gescheite Hinterachse, das wär' schon was! Da könnte ich doch fast weich werden und sogar über das grottenhäßliche Äußere hinwegsehen. Aber nach zwei, drei Tagen war dieser Anfall vorüber. Wir bleiben beim VW. "Bau 'ne gescheite Rücksitzbank, mach einen neuen Bodenbelag rein und schmeiß endlich diese total verschrammten Seitenverkleidungen raus!
(Dschiiieses! Die sind original Westfalia! ) Ich nähe nochmal neue Vorhänge.
(Das macht sie dann bereits zum dritten oder vierten Mal. ) Mehr würde ich garnicht fest einbauen, denn das Auto ist ja doch recht klein."
Die Kiste bleibt! Und zwar in dem Zustand, wie ich sie gerne hätte, wie sie mir am nützlichsten ist und am besten gefällt. Und wenn mich deswegen jemand auf einem Treffen dumm anquatschen sollte, dann kratzt mich das in keiner Weise. Stattdessen genieße ich das Bewußtsein, daß ich zu denen nicht dazu gehöre.
Gruß,
Clemens
(der jetzt mal lieber in Deckung geht und sich in diesem Thread nicht mehr weiter äußern wird)