Flucht in die andere Richtung
Verfasst: 22.01.2011 18:20
"Là-bas, c'est le Maroc!" Das kleine Mädchen mit dem krausen Haar zeigt aufgeregt zum Horizont, wo allmählich das Land in Sicht kommt. Die Delphine, die schon eine Weile das Schiff begleiten, sind plötzlich uninteressant, und bevor die kleine Madame allzu unvorsichtig auf der Reling rumturnt, nimmt ihre Mutter sie lieber auf den Arm. Eine Familie auf der Heimreise, Vater, Mutter und Kind. Haben wohl über Sommer in Frankreich etwas Geld verdient, von dem nun hier in Marokko bis zum nächsten Sommer der Lebensunterhalt bestritten wird.
Genau so macht es auch Hamid, den wir später in Erfoud kennen lernen und der ein paar Tage mit uns rumzieht und uns Land und Leute zeigt. Während der Touristensaison arbeitet er als Koch irgendwo an der Cote d'azur. Hier läßt er seine beiden Frauen für uns kochen - und während wir es uns schmecken lassen, sitzen sie abseits und warten ab, was für sie übrig bleibt.
Okay, das ist jetzt 30 Jahre her und welche gesellschaftliche Entwicklung zwischenzeitlich im Maghreb stattgefunden hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Obwohl in Wirklichkeit mittellose Studenten, erschienen wir den Marokkanern damals unermeßlich reich. Wir kamen aus der Welt, in der es sich für sie zwar zu arbeiten lohnte, in der zu leben sie sich aber nicht leisten konnten - sofern sie dies denn wollten. Dem kleinen Mädchen, das ich eingangs erwähnt habe, war seine Heimat jedenfalls deutlich lieber und es ist kaum anzunehmen, daß es mit dieser Ansicht alleine ist.

Die gesellschaftliche Entwicklung innerhalb dieser Zeit bei uns ist geprägt von einigen sozialen Verwerfungen im Zusammenhang mit der Globalisierung, dem Zusammenbruch des Ostblocks, dem Scheitern der sozialen Marktwirtschaft, des Sozialstaates und nun auch des Neokapitalismus (auch wenn's einige noch nicht wahrhaben wollen). Aus "Die Renten sind sischa!" wurde "die Renten sind sicher zu niedrig!" und das wird in Zukunft noch weit schlimmer werden. Gut, wenn man im Alter noch sowas wie ein Wohnmobil hat, denn Marokko gibt's immer noch und dort kann man auch heute noch mit schmaler Brieftasche den großen Zampano raushängen lassen. Zehntausende Europäer aus allen gesellschaftlichen Schichten überwintern mittlerweile dort - darunter sicher auch ein hoher Anteil von Leuten, die sich das Leben bei uns einfach nicht mehr leisten können - obwohl sie es wollten.
Der Film Flucht in die andere Richtung von Ralf Jacobs, der gerade im Rahmen des Max-Ophüls-Festivals läuft, thematisiert diese neue Erscheinung. Hier ein paar Filmausschnitte:
http://www.youtube.com/watch?v=7WEGqC1JCRA
http://www.youtube.com/watch?v=Y4X8SYTW180
http://www.youtube.com/watch?v=k8ecvpnN01Q
Siehe auch http://www.zeit.de/kultur/film/2011-01/ ... tion-filme.
Gruß,
Clemens
Genau so macht es auch Hamid, den wir später in Erfoud kennen lernen und der ein paar Tage mit uns rumzieht und uns Land und Leute zeigt. Während der Touristensaison arbeitet er als Koch irgendwo an der Cote d'azur. Hier läßt er seine beiden Frauen für uns kochen - und während wir es uns schmecken lassen, sitzen sie abseits und warten ab, was für sie übrig bleibt.
Okay, das ist jetzt 30 Jahre her und welche gesellschaftliche Entwicklung zwischenzeitlich im Maghreb stattgefunden hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Obwohl in Wirklichkeit mittellose Studenten, erschienen wir den Marokkanern damals unermeßlich reich. Wir kamen aus der Welt, in der es sich für sie zwar zu arbeiten lohnte, in der zu leben sie sich aber nicht leisten konnten - sofern sie dies denn wollten. Dem kleinen Mädchen, das ich eingangs erwähnt habe, war seine Heimat jedenfalls deutlich lieber und es ist kaum anzunehmen, daß es mit dieser Ansicht alleine ist.

Die gesellschaftliche Entwicklung innerhalb dieser Zeit bei uns ist geprägt von einigen sozialen Verwerfungen im Zusammenhang mit der Globalisierung, dem Zusammenbruch des Ostblocks, dem Scheitern der sozialen Marktwirtschaft, des Sozialstaates und nun auch des Neokapitalismus (auch wenn's einige noch nicht wahrhaben wollen). Aus "Die Renten sind sischa!" wurde "die Renten sind sicher zu niedrig!" und das wird in Zukunft noch weit schlimmer werden. Gut, wenn man im Alter noch sowas wie ein Wohnmobil hat, denn Marokko gibt's immer noch und dort kann man auch heute noch mit schmaler Brieftasche den großen Zampano raushängen lassen. Zehntausende Europäer aus allen gesellschaftlichen Schichten überwintern mittlerweile dort - darunter sicher auch ein hoher Anteil von Leuten, die sich das Leben bei uns einfach nicht mehr leisten können - obwohl sie es wollten.
Der Film Flucht in die andere Richtung von Ralf Jacobs, der gerade im Rahmen des Max-Ophüls-Festivals läuft, thematisiert diese neue Erscheinung. Hier ein paar Filmausschnitte:
http://www.youtube.com/watch?v=7WEGqC1JCRA
http://www.youtube.com/watch?v=Y4X8SYTW180
http://www.youtube.com/watch?v=k8ecvpnN01Q
Siehe auch http://www.zeit.de/kultur/film/2011-01/ ... tion-filme.
Gruß,
Clemens