Na endlich, da isser ja, der Kanadier-Fred!
Ich stehe mit Doug, einem Geschäftsfreund, am Thames-River in London / Ontario, als ein Boot vorbeikommt.
"We call them 'Canadians' in Germany."
"
Canadian? Are you crazy? I'm a Canadian! This is a canoe!"
Ich komme eigentlich vom Kayak her, aber gelegentlich, wenn wir mal wieder an der Beaume mehr Leute als Boote waren, haben ein Kumpel und ich unsere Kayak-Ausrüstung anderen zur Verfügung gestellt, uns dafür beim Patron so einen alten, sauschweren Seelenverkäufer geschnappt und sind damit die Beaume-Schlucht runtergeschippert. Das war immer eine Riesengaudi. Ich im Bug, er im Heck - und wir verstanden uns eigentlich blind. Das ist lange her - und er ist leider nicht mehr unter uns.
Vor 10 Jahren war nochmal die Situation: Mehr Leute als Boote. Die Ardèche hat prima Wasser gehabt und wir wollten den Abschnitt von Balazuc bis Ruoms fahren. Ich habe mir einen Kanadier gemietet, im Bug paddelte mein Mädel. Sagen wir's mal so: Es gab unterwegs jede Menge Diskussionsbedarf und auch das ein oder andere unbeholfene Manöver. Um Kenterungen zu vermeiden mußte ich ein paarmal heftig aufkanten und dieser blöde Kahn hatte derart dusselig niedrige Bordwände, daß man dabei auf der anderen Seite jede Menge Wasser schöpfte. Aber die alte Gaudi war wieder da und deshalb habe ich beschlossen, mir selbst so ein Ding zu kaufen - und zwar eines mit Bordwand, nicht so 'n "Sinker".
Nachdem ich mich etwas auf dem Markt umgeguckt hatte, fiel die Wahl auf den Old-Town Discovery-Scout. Den bitte nicht mit dem Discovery verwechseln, das is 'n völlig anderes Boot. Der Discovery-Scout hat ein "Schwesterschiff", den Old-Town Appalachian. Beide Boote habe exakt die gleich Form (symmetrisch) und Größe, der einzige Unterschied besteht im Material des Rumpfes. Der Appalachian ist aus Royalex gefertigt, der Discovery-Scout aus Oltonar. Beides sind PE-Sandwiches mit einer Schicht aus PE-Schaum zwischen den massiven äußeren und inneren PE-Schichten. Royalex wird von vielen Herstellern verwendet, Oltonar ist eine Eigenentwicklung von Old-Town, ist etwas schwerer, aber auch deutlich robuster - also genau das Richtige für Leute, die nicht paddeln können und damit genau das Richtige für mich!
Lateralplan:
Das Boot ist 16ft (488cm) lang, weil nämlich jeder gescheite Kanadier so lang ist. Nicht 15, nicht 17, 16 ist die magische Zahl für ein Tandem-Boot, wenn's etwas Einsatzspektrum bieten soll. Für Seen und stehendes Wasser mag anderes gelten, aber wenn's um Bäche oder Flüsse geht, landet man immer bei 16 Fuß. Verglichen mit anderen Booten hat der Discovery-Scout enorm viel Kielsprung (Rocker). Das macht das Boot langsam aber wendig und unempfindlich gegen Querströmungen.
Hauptspant:
Rund! Ein flaches U mit gewölbtem Boden und großen Radien hin zu den senkrechten Bordwänden. Das Boot bietet keinerlei Anfangsstabilität und erscheint dem Anfänger kippelig. Aber je schräger, desto stabiler wird's und desto wohler fühlt man sich darin. Unkenterbar - und wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat, kann man darin auch aufstehen. Und daß ein seetüchtiges Schiff einen runden Hauptspant braucht, das wußten schon die alten Wikinger. Was die damals gebaut haben, beeindruckt bis heute.
Bug/Heck:
Enorm voluminös mit hohen Bordwänden und deutlichem Flare (= überhängende Bordwand, V-Form). Das Boot läuft dadurch frappierend trocken, ist aber sehr empfindlich gegen Seitenwind.
Praxis: Für stehendes Wasser - also auch für die langen Stauseeketten, die wir (schiffbaren) "Fluß" nennen - ist das Boot nix! Ich war mal damit alleine auf dem Neckar, als ein Gewitter aufkam. Die Windböen haben mich hin und her gepustet, wie sie wollten und ich war heilfroh, als ich's endlich bis zum Ufer geschafft hatte.
Sobald das Wasser aber ein bisschen schiebt, ist die Welt in Ordnung - und je schmaler der Bach und je weißer das Wasser, desto wohler fühlt sich der Kahn. Bis Wildwasser III macht er alles mit - und wenn's mal schief geht, dann lag's nicht am Boot!
Anfangs hat mich der bei Verwindung des Rumpfes knarrende und knarzende Süllrand aus Kunststoff genervt. Hätt' man den nicht aus Holz ...? Als ich den Pott aber das erste mal um einen Fels gewickelt hatte, wobei er vom Wasserdruck völlig zusammengefaltet wurde, ohne daß dabei irgendwas kaputt gegangen wäre, bin ich damit versöhnt. Das Boot hat nach der Bergung selbsttätig wieder seine ursprüngliche Form angenommen und wir konnten weiterfahren, als sei nix gewesen!
Das Boot ist in Normallage bereits sehr wendig und wenn man es aufkantet, dann dreht man es wirklich fast auf der Stelle. Man trifft damit in Kehrwasser, die deutlich kleiner sind als das Boot und kann sie zum Manövrieren nutzen. Es läßt sich deswegen auch noch einigermaßen problemlos alleine paddeln. Der Rumpf ist - wie bereits gesagt - symmetrisch, deshalb benutzt man als Solopaddler auf den vorderen Sitz und fährt das Boot rückwärts. Im Wildwasser fehlt dann aber oft die Geschwindigkeit, das heißt es wird schnell mühsam bis unmöglich, gegen die Strömung anzukommen. Zu zweit hat man eben die doppelte Power. Aber mal alleine nachts lautlos die Enz runtergleiten, das mach ich gerne damit.
Immer wieder faszinierend ist der trockene Lauf. Egal wie sehr die Elemente toben, das Boot schöpft kaum Wasser! Man kann damit in Mantel und Hut bei Minusgraden die verschneite Enz runterschippern, ohne auch nur einen Tropfen Wasser abzubekommen. Auf der Ardèche zwischen Aubenas und Vogue strömt der Fluß am rechten Ufer einen Brückenpfeiler an. Dort steht ein etwa einen Meter hohes Prallwasser, vor dem der Fluß dann über eine Felskante anderthalb Meter in die Tiefe stürzt - um dort sofort verblockt und strudelig weiter zu toben, anstatt endlich mal Ruhe zu geben. Die beste Sozia von allen kniet im Bug, wir treiben auf den Pfeiler zu. Vor dem Prallpolster drehe ich das Boot nach links. Meine Herzdame schwebt jetzt über dem Abgrund.

Vor dem Prallpolster muß ich aufkanten, sonst würden wir kentern - und kentern ist hier verboten. Die beste aller Beifahrerinnen schwebt jetzt quer über dem Abgrund.

Der Bug neigt sich allmählich nach unten, aber mittschiffs haben mich Strömung und Prallwasser immer noch fest in der Zange. Ich muß das Boot aufgekantet halten sonst gehen wir hier baden. Ich habe also keine andere Wahl und muß mein Mädel unter fast 45° Schräglage ins Unterwasser stürzen lassen.

Erst im letzten Moment kann ich das Boot aufrichten, aber als das Vorderschiff ins Unterwasser klatscht, ist gerade erst mal die Aufrichtbewegung eingeleitet. So ähnlich muß es aussehen, wenn ein Walroß vom Dreimeterbrett springt. Das Wasser spritzt wie blöde, aber es dringt so gut wie nichts ins Boot! Sie ist sofort wieder auf Sendung, die nächsten 20m bekommen wir auch noch geregelt und dann erst ist Zeit, uns mal umzugucken und uns anzustarren!
Paddeltaufe meines Neffen. Nachdem wir quer durch's Bild gehuscht sind, drehe ich mit einem letzten Paddelschlag das Boot quer zum Fels in die abfließende Strömung und muß dann die Flügel einziehen. Jetzt liegt's an ihm, den Bug gescheit in die Stromzunge zu ziehen.
Gruß,
Clemens