Hallo,
ich hatte vor einem halben Jahr mal gefragt, was Ihr von den elektronischen Reifendrucküberwachungssystemen haltet. Damals wussten wir alle nicht so recht, was wir davon halten sollten. Der Tenor war: klingt ja theoretisch ganz nett, ist aber auch nicht ohne Risiko.
Dann fand ich zufällig spät in der Nacht eine bald auslaufende ebay-Auktion mit zwei neuen Überwachungssystemen, die offensichtlich keiner haben wollte. Und was soll ich sagen: 3-2-1 meins. 30 Euro pro System für vier Räder. Da war zumindest das finanzielle Risiko keines mehr.
In den letzten vier Jahren haben wir in Afrika insgesamt vier gute Reifen durch Flankenbruch verloren, weil ich bei einem Platten im Gelände nicht schnell genug reagiert habe. Zum Teil nagelneue Reifen. Allein das waren schon 300 Euro. Ich brauchte etwas, um schneller auf Plattfüße reagieren zu können.
Also, probieren geht über studieren. Ich hab das Spielzeug in Kenia eingebaut und wir haben es 9000 km quer durch Ost- und Südafrika getestet, davon knapp 1000 im Gelände. Und trotz aller Bedenken, die ich vorher hatte: wir werden nicht mehr ohne fahren!
Ob ich sie in Europa dranmachen würde, weiß ich nicht, da hat man ja kaum Plattfüße. Aber allen Freunden einer artgerechten Haltung würde ich sie inzwischen empfehlen. Es haben sich eine ganze Menge angenehme Nebeneffekte ergeben, an die wir vorher überhaupt nicht gedacht haben.
Nur zur Erinnerung: das System besteht aus vier Funk-Sensoren, die auf die Ventile geschraubt werden, sowie einer Zentraleinheit, die bei abnormalen Werten Krawall macht. Eigentlich hätten wir die Sensoren lieber im Felgenbett gehabt, doch das geht nicht, da wir Schlauchreifen fahren müssen.
Ich hab' im Folgenden mal alles zusammengeschrieben, was mir zu dem Thema in den Kopf gekommen ist:
1. Ein Sender wiegt 12 Gramm, produziert also keine wesentliche Unwucht am Reifen (jedenfalls nicht bei meinen Geschwindigkeiten

). Man kann es ja beim Auswuchten kompensieren.
2. Die Sender schlafen ein, wenn das Fahrzeug steht. Deshalb halten die Batterien vermutlich auch ziemlich lange, jedenfalls länger als 9000 km.
3. Die Funkübertragung funktioniert einwandfrei. Die Zentrale lag bei uns immer im Handschuhkasten und hat sich bemerkbar gemacht, wenn etwas nicht stimmte.
4. Die Druckanzeige ist nicht genau, da scheint es ziemliche Fertigungstoleranzen zu geben. Doch die Korrekturwerte sind einigermaßen stabil, dann passt es wieder. Es kommt ja auch nicht auf die Nachkommastelle an, die Dinger sollen ja nur warnen, wenn ’was aus dem Ruder läuft.
5. Die Temperaturanzeige ist ziemlich genau, aber auch ziemlich nutzlos. Sie zeigt ein Mittelding zwischen Außen- und Reifentemperatur an. Aber man kann an ihr zweifelsfrei ablesen, ob die Sonne von rechts oder von links scheint. Ok, man könnte auch einfach aus dem Fenster schauen. Immerhin wissen wir jetzt, dass der Reifendruck im Stand allein durch die Sonnenwärme um fast 1 bar ansteigen kann

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6. Die Befestigung der Sender am Ventil ist eigentlich ganz vernünftig, auch die Diebstahlsicherung funktioniert (welcher Dieb hat schon einen 2,5 mm Inbusschlüssel in der Tasche?). Doch da werde ich noch etwas ändern, die Inbus-Lösung ist ziemlich fummelig. Natürlich halten die Dinger einem ernsthaften Angriff nicht stand, sind aber nach dem gewaltsamen Abbauen wohl auch hinüber. Zudem macht das nur Sinn, wenn der Dieb sowohl die Sender als auch die Zentraleinheit mitnimmt. Eins ist aber klar, gegen Vandalismus sind sie nicht gefeit.
7. Die Sender sind schlamm- und regendicht (wg. eingelegtem O-Ring) und auch Wellblechpiste haben sie klaglos weggesteckt. Enge Passagen durch Büsche und Gestrüpp hatten wir dieses Jahr nur selten, doch die Abreißgefahr schätze ich nicht sehr hoch ein, denn die Sensoren sind von unten angeschrägt, so dass sich da kaum etwas verhaken dürfte.
8. Ich hab’ zweimal vergessen, den Sender abzubauen, als ich den Reifen zum Reparieren brachte. Doch der Mechaniker hat’s gemerkt. Also besser vorher dran denken, ehe ein Grobmotoriker sich des Teiles annimmt. Der Abbau dauert nur ein paar Sekunden.
9. Wir hatten dieses Mal sechs kaputte Reifen, davon einen auf Asphalt und einen im Stand, der Rest auf Piste. Die Elektronik hat jedes Mal rechtzeitig Alarm geschlagen, so dass keiner der Reifen wirklich platt gefahren worden ist. Wir haben Reifen mit Lastindex 106, die haben ziemlich steife Flanken und nehmen Plattfüße verdammt übel. Anstatt 70 Euro für einen neuen Reifen hat’s jeweils nur 1 Euro für’s Flicken gekostet.
10. Normalerweise reicht mir als Reifendruckkontrolle unterwegs ein leichter Tritt gegen den Reifen oder ein schräger Blick auf die Flanke und ab und zu bin ich mit dem Messgerät rumgegangen. Jetzt kümmere ich mich deutlich häufiger um den Reifendruck, weil’s mit einem Blick erledigt ist.
11. Ein äußerst angenehmer Nebeneffekt ist, dass die Dinger ja nicht erst beim Plattfuß Laut geben, sondern schon beim Unter- oder Überschreiten von einstellbaren Warnschwellen. Wir haben die Grenzwerte auf 1,6 und 3,8 bar bzw. 60°C festgelegt. Wenn’s Alarm gibt, hat man meistens noch genügend Zeit, ein günstiges Plätzchen zu finden. Nicht auf einer Bergkuppe, nicht im Kreisverkehr, nicht im Löwenrudel, nicht nachts im Tunnel oder wo auch immer man auf keinen Fall den Reifen wechseln möchte. Das ist im Nachhinein wohl der wichtigste Vorteil für uns. Insbesondere in den Nationalparks wollten wir beim Reifenwechsel immer einen freien Blick haben, um vor den Jungs mit den langen Zähnen sicher zu sein.
12. Einmal mussten wir durch ein Dornenfeld fahren. Elefanten hatten die Bäume gekillt und der Boden war gespickt mit langen Dornen. Wir haben zwar hinterher sorgfältig die Reifen abgetastet, doch die Reste steckten tief im Gummi. Auf den folgenden Kilometern hätten wir früher ständig den Hals aus dem Fenster gehängt, um nach dem Zustand der Reifen zu sehen. Diesmal haben wir statt dessen die Landschaft genossen und die Arbeit der Elektronik überlassen. Wir hatten am Ende der Reise tatsächlich fünf von sechs Platten an den Vorderhufen, Spätfolgen der Dornen. Normalerweise haben wir hinten doppelt so viele Pannen wie vorn.
13. Als mich mal ein Tankwart fragte, ob Öl, Wasser und Reifendruck in Ordnung seien (ja, da unten wird man servicemäßig noch richtig verwöhnt), habe ich ihn erst über die Luftkühlung aufgeklärt, dann über das Alter des Autos und zu guter Letzt habe ich ihm die Reifendruckanzeige hingehalten. Er hat den Mund gar nicht wieder zu bekommen. „And that’s Volkswagen?” Na klar, was denn sonst!
Uff, das war jetzt aber verdammt viel Text. Ich habe fertig.
Mein Resümee: es ist tatsächlich ein nettes Spielzeug, nicht wirklich wichtig, schon gar nicht in Europa, aber in unserem Fall extrem angenehm. Und es hat sich nach dem ersten Einsatz schon dick bezahlt gemacht.
Schöne Grüße
Wolfgang